Manch­mal ist es besser, man weiss nicht so genau, was sich hin­ter einem Geschenk ver­birgt. Vielle­icht hät­ten wir uns sonst niemals auf dieses Aben­teuer ein­ge­lassen: Mit einem alten Segel­boot aus Holz von Arnis (Schlei) bis Aarhus (Däne­mark) zu segeln. Klingt doch gar nicht so aufre­gend? War es aber, weil wir ziem­liche Sege­lan­fänger sind: ver­sorgt zwar mit den notwendi­gen Zer­ti­fikaten (SBF-Schein) und ein bißchen Segel­praxis auf dem han­nover­schen Maschsee. Aber weit davon ent­fernt, so etwas auf See schon aus­pro­biert zu haben …
Um es kurz zu fassen: es war eine großar­tige und äußerst lehrre­iche Reise. Auch und vielle­icht weil es zwis­chen­durch ganz schön aufre­gend war.
 

Kein Ler­nen ohne Emo­tio­nen

 
Zuerst war es die Freude, ohne Prob­leme durch die Hebe­brücke bei Kap­peln zu motoren. Dann bei leichtem Rück­en­wind die Segel zu set­zen und die Schlei hin­unter zu segeln. Die zunehmende Dünung aus der Ost­see zu spüren, das let­zte Leucht­feuer zu passieren und im Son­nen­schein auf die offene See hin­aus zu gleiten. Es kribbelte ganz schön im Magen, aber es funk­tion­ierte. Dass wir mit unser wun­der­baren “Martha” plöt­zlich ziem­lich alleine an der Spitze der Flotille aus vier Booten lagen und die übri­gen bis nach­mit­tags nicht mehr sehen soll­ten, ver­drängten wir.
In den Fol­ge­ta­gen soll­ten deut­lich knif­fligere Sit­u­a­tio­nen auf uns zukom­men. Von heftig­stem Wind von vorn, über sich aus der Ver­ankerung lösen­dem Mast­baum bis zu “Mann-über-Bord” war alles dabei. Die Gefühle fuhren Achter­bahn: Eben noch die Euphorie, die aufkommt, wenn das Boot bei “Am Wind-Kurs” über die Wellen jagd, gefolgt von Unsicher­heit, Macht­losigkeit bis hin zu leichter Panik, als der eigene Mann sich von außen an die Bor­d­wand klam­merte. Diese Momente werde ich nicht vergessen!
 

Learn­ing by Doing

 
Am Ende haben wir zu unserer eige­nen Über­raschung alle Sit­u­a­tio­nen irgend­wie und meis­tens auch alleine gemeis­tert. Und im wahrsten Sinne Selb­st­wirk­samkeit erfahren. Sei es in den oben beschriebe­nen (weni­gen) Extrem­si­t­u­a­tio­nen oder bei Ablege‑, Anlege­manövern, Segel set­zen und ein­holen sowie Segeln bei allen Wind­kon­stel­la­tio­nen — irgend­wie haben wir immer Lösun­gen gefun­den. Was zählt war, Ruhe bewahren, (auch unter Stress) Entschei­dun­gen tre­f­fen, aus­pro­bieren und daraus ler­nen. So gewan­nen wir mit jedem Schritt, den wir machten, wieder etwas mehr Sicher­heit und Selb­stver­trauen. Basis dafür war auch, dass wir auf gut­müti­gen Schif­fen in über­schaubaren Gewässern und natür­lich nur bei für uns passen­dem Wet­ter (soweit man das voraus sagen kon­nte) unter­wegs waren. 
Am Ende jeden Tages waren wir stolz, auf die bestande­nen Her­aus­forderun­gen. Auch wenn wir zwis­chen­durch so richtig auf alles und jeden geflucht haben. Trotz aller The­o­rie und Zer­ti­fikate — wir haben erst in dieser Woche so richtig segeln gel­ernt — und ste­hen immer noch am Anfang.
 

“Fehler machen dür­fen” als Erfol­gs­fak­tor

 
Unser “Flot­tillen-Chef” Nicholas hat mit Paula, Oliese, Frieda und Martha vier wun­der­schön restau­ri­erte und her­vor­ra­gend fahrende Folke­boote. Alle aus der Baby-Boomer-Gen­er­a­tion. Bis dahin wusste ich nicht, dass auch Boote eine Per­sön­lichkeit oder gar eine Seele haben kön­nten. Sie waren für ihn wie Fam­i­lien­mit­glieder. Um so erstaunlicher schien dann aber die Ruhe und Gelassen­heit, mit der er uns seine “Lieben” anver­traute und uns unsere Fehler machen liess. Solange wir die “Mädels” sicher abends in den Hafen fuhren, war das WIE und das WANN fast egal.
So lern­ten wir aus Erfahrung, wie sin­nvoll es ist, die vielfälti­gen Leinen immer wieder ordentlich zu ver­stauen oder die Segel besser zu trim­men. Über die Länge von Kreuzschlä­gen, die richti­gen Knoten oder die erstaunliche Fähigkeit zur Schräglage von Folke­booten. Wie man mit einer Außen­leiter wieder ins Boot klet­tert. Und nicht zuletzt wie man sich an Kom­pass, Echolot, GPS und Seekarte tat­säch­lich ori­en­tieren kann und wie wichtig eine gute Vor­bere­itung darauf ist.
 

Die Bedeu­tung des Teams

 
Wir waren eine bunt zusam­mengewür­felte Truppe aus sechs Per­so­nen, die sich noch nie gese­hen hatte. Ver­bun­den durch ein gemein­sames Ziel — in sechs Tagen bis Anhold zu segeln. Dass es am Ende “nur” Aarhus gewor­den ist, spielte keine große Rolle.
Jeder hatte zu dem eigene (Lern-)ziele: Wir woll­ten uns auf dem Meer zum ersten Mal erproben, Jür­gen (mit 30 jähriger Yacht-Erfahrung) wollte die Strecke als Ein­hand­segler bewälti­gen. Thiemo und Katha­rina brauchten Meilen für ihren Skip­per­schein. Und Nick­o­las frönte seiner Pas­sion und wollte alle seine Boote zum Start­punkt für die näch­ste Gruppe brin­gen.
Nur gemein­sam kon­nten wir alle unsere Ziele erre­ichen. Wir unter­stützen uns beim ab- und anle­gen und besprachen jeden Abend das Ziel und den besten Weg für die näch­ste Etappe. Oder schauten uns unter­wegs die Segel­stel­lun­gen und Manöver der Profis ab (sofern sie in Sichtweite waren). Nicht zu unter­schätzen war die moralis­che Unter­stützung, die wir uns gegen­seitig gaben. Jeder hatte mal einen schlechteren Tag und manch einer war nahe daran alles hin zu schmeißen. Und doch ging es jeden Mor­gen mit neuen Tipps, gegen­seit­igem Zus­pruch und viel Ver­trauen wieder gemein­sam weiter. Voller Stolz erre­ichten wir so Ristinge, Nyborg, Kor­shavn, Endelave und let­z­tendlich Aarhus. Dort feierten wir unseren Erfolg in einer kleinen Pizze­ria und sanken ein let­ztes Mal tod­müde auf unsere ein­fachen Folke­boot­bet­ten.
 

Aus­dauer bis zur Meis­ter­schaft

 
Dass wir jetzt schon richtig gut segeln kön­nen, kann ich nicht sagen. Nick­o­las oder Jür­gen haben dafür auch viele Jahre gebraucht und noch viel mehr Erfahrun­gen gesam­melt. Aber wir haben in einer Woche “Praxis am Wind” enorme Fortschritte gemacht. Jeder in seinem Tempo. Und da auf diesen alten, ehrlichen, gut­müti­gen Booten noch alles per Hand gemacht wird, haben wir segeln wirk­lich auch kör­per­lich erfahren. Mit Schwie­len an den Hän­den, Krämpfen in den Beinen, Wasser, Wind und Sonne im Gesicht. Und der Boden schwankte auch nach zwei Tagen Fes­t­land noch unter unseren Füßen.
Auch wenn wir uns nur in der dänis­chen Süd­see getum­melt haben, waren wir men­tal ganz weit weg. Auf dem Wasser ist man immer im “hier und jetzt”. Beschäftigt mit dem Wind, den Wellen, dem Boot, der Strecke und was es als näch­stes zu tun gibt. Vielle­icht wird das weniger, wenn man sich besser auskennt — aber dazu braucht es noch ziem­lich viele Seemeilen und bestandene Aben­teuer. Mal sehen, wohin uns der näch­ste Törn führt.
 

Tipps zum Folke­boot-Segeln und Ler­nen

  … oder ihr stöbert mal in meinen Ange­boten — es geht immer ums Ler­nen: ob indi­vidu­ell, im Team oder in Organ­i­sa­tio­nen.