“Alle Reisen haben eine heim­liche Bes­tim­mung, die der Reisende nicht ahnt”
(Mar­tin Buber)

Mit 10 kg unter­wegs auf dem Camino del Norte — der weniger bekan­nten Küsten­ver­sion des Jakob­swegs durch das spanis­che Basken­land. Es war ein “Rein­schnup­pern” in fünf Tagen. Mit 135 km von San Sebas­t­ian nach Bil­bao. Vielfälti­gen Ein­drücken und Erleb­nis­sen. Und es macht Lust auf mehr !

Eigentlich woll­ten wir den Camino de San­ti­ago erst erwan­dern, wenn der anhal­tende Hype sich irgend­wann aufgelöst hätte. Aber die Anziehungskraft scheint unge­brochen. Und wir waren “eben mal” im Basken­land. So ver­stauten wir nach einem kurzen Spanisch-Sprachkurs im wun­der­schö­nen San Sebas­t­ian die eine Hälfte unseres Gepäcks in einem Hotel, schnall­ten uns den Rest auf den Rücken und ver­ließen ent­lang des Pracht­stran­des La Con­cha die Stadt.

Schon bald tre­f­fen wir Ital­iener, Spanier, Fran­zosen, Amerikaner und deutsche Mit-Pil­ger auf diesem nicht ganz unanstren­gen­den Weg.  Unter­wegs mit Blasen, Wan­der­stöcken, wun­der­samen aber prak­tis­chen Hutre­gen­schir­men, ganzen Zel­ten, Iso­mat­ten, Schlaf­sächen, Trink­flaschen und jede Menge “Gedöns”,  das mor­gens zum Trock­nen auf den Ruck­sack gehängt wird. Und später hier und da den Weg verziert. Manch einer zieht ganze Hand­wa­gen hin­ter sich her, die so per­fek­tion­iert sind, dass wir trotz­dem locker abge­hängt wer­den. “Buon Camino” ist schnell ein ver­trauter und verbinden­der Gruß und spätestens an den Trinkwasser­sta­tio­nen — meist irgendwelche Wasser­hähne oder Schläuche am Weges­rand — kom­men wir ins Gespräch. Woher wir kom­men? wohin es geht? und manch­mal mehr. Dann geht jeder weiter seines Weges. In seinem Tempo, im eige­nen Rhyth­mus. Bis zum näch­sten Café, das in der ein­samen Land­schaft plöt­zlich auf­taucht. Oder einer idyl­lis­chen Wiese mit Blick auf die Weite des Ozeans, die zur Mit­tagsrast ein­lädt.

Ein junger Fran­zose wird nach 35 km seines ersten Tages in den Knochen und diversen Blasen an den Füßen sogar richtig gesprächig. Er will in 10 Tagen von Irun bis San­tander laufen, von wo ihn seine Fre­undin abholen würde. Sollte er dies schaf­fen — und wir haben ihm wirk­lich die Dau­men gedrückt — wollte er dort seiner Fre­undin einen Heirat­santrag machen! Das erin­nerte uns ein wenig an “große Aben­teuer und Auf­gaben, die Märchen­helden erfüllen müssen, um ihre Prinzessin am Ende zu ehe­lichen”. Andere sind weniger “beladen”, son­dern wollen ein­fach eine schöne gemein­same Zeit zusam­men haben. Wie Mut­ter und Tochter aus der Nähe von Milano, die uns freimütig erzählen, dass sie abends ein kom­fort­a­bles Hotel den genauso kom­mu­nika­tiven wie “aben­teuer­lichen” Alber­gos vorziehen. Das ist auch unsere Strate­gie — zumin­d­est für diese Reise.

Am drit­ten Tag haben wir uns an das Gewicht auf unserem Rücken und den Weg gewöhnt. Trotz ständi­gem auf und ab und Nach­mit­tags-Tem­per­a­turen bis zu 35 Grad ! Das bedeutet spätestens um 8 Uhr loslaufen (manch einer war da schon 2 Stun­den unter­wegs) und gegen 15.30 am Etap­pen­ziel ankom­men. Und zwis­chen­durch 3–4 Liter Wasser in sich hinein zu schüt­ten, um sich am Ende auf “una cerveza grande” zu freuen wie auf ein Festmahl.  Duschen (gle­ich mit den Klam­ot­ten), Aus­ruhen. Aben­dessen. Ermat­tet — aber sehr zufrieden — ein­schlafen. So kommt schnell Rhyth­mus in diese Tage. Und mehr braucht es nicht.

Ein junger Deutscher, der ger­ade Woh­nung und Job gekündigt hatte, beein­druckt mich sehr mit dem fast schon philosophis­chen Satz “Der Weg ist mein zu Hause”. Da hatte ich richtig was zum Nach­denken… Auch wenn irgend­wann “Denken” trotz des vie­len schweigsamen Laufens in den Hin­ter­grund tritt. Wir sind reduziert auf das “Da Sein” und die banalen Fra­gen: Wo gehts lang? Wo ist die näch­ste Trinksta­tion? Gibt es irgendwo vielle­icht einen Cor­tado? Wo wer­den wir über­nachten und schaf­fen wir es bis dahin? Hal­ten die Füße und der Rücken ? Manch­mal sind wir aber auch ein­fach über­wältigt von der Schön­heit der Land­schaft, einer beson­deren Blume am Weges­rand oder dem Rauschen der Blät­ter. Oder man ist dankbar für die Kühle und Stille in einer mit­te­lal­ter­lichen Klosterkirche. Oder für die Gesänge von Mönchen am Mor­gen.

Über atem­ber­aubende Küsten­ab­schnitte, Wein­berge, stille Wälder und Wiesen­ge­bi­ete, durch die quirli­gen Küsten­städte Zarautz und Deba sowie die ver­schlafeneren Hin­ter­land-Orte Mark­ina-Xemein und Guer­nica-Lumo, haben wir es tat­säch­lich bis Bil­bao geschafft! Die let­zen 10 km durch Indus­triege­bi­ete und Vorstadt­straßen haben wir uns die kom­fort­ablere Metro “gegönnt”. Ein Tag Aus­ruhen war hier drin­gend notwendig und ist auch nicht nur wegen des Guggen­heim-Musuems sehr empfehlenswert. Danach hätte es (noch ein bißchen) weiter gehen kön­nen. Vielle­icht nicht ger­ade die 690 km, die uns noch bis nach San­ti­ago de Com­postela, dem eigentlichen Zielort, fehlten. Frei nach dem Motto “Der Weg ist das Ziel” haben wir auch auf jegliche Wan­der­stem­pel verzichtet. Eher ist es die Sehn­sucht nach Ein­fach­heit, Stille, Natur, Bewe­gung, Rhyth­mus, spon­ta­nen und schö­nen Begeg­nun­gen und ein bißchen Aben­teuer die uns wieder auf den einen oder anderen (Pilger-)weg führen wird.

Vielle­icht hast du ähn­liche Erfahrun­gen beim Wan­dern oder Pil­gern gemacht ? Was hat dir gefehlt und was hättest du besser zu Hause gelassen ? Welche Fra­gen haben dich bewegt ? Was hat dich beson­ders berührt ?