Don­ners­tag Nach­mit­tag. Cowor­king Space in Han­no­ver. Draus­sen: Ein grauer Herbst­tag. Drin­nen ? Fast Kaf­fee­haus-Atmo­sphäre — nur etwas weni­ger plü­schig. Musik dudelt ver­hal­ten aus den Laut­spre­chern, es riecht nach Kaf­fee und Mit­tag­essen. Leise Gesprä­che an den ein­fa­chen Holz­ti­schen. Über­all Lap­tops, Tablets, Han­dies, Kabel. Dazwi­schen Men­schen (von 25 — 75 ist alles dabei), die allein oder gemein­sam … arbei­ten ?

Sie schei­nen kon­zen­triert und vol­ler Hin­gabe bei „ihrer“ Sache. Und sie sind frei­wil­lig hier!

 

Doch — Wie passt das zusam­men mit einem Employee Enga­ge­ment Index, der für Deutsch­land gemäß Gal­lup auch in 2016 nur 15 % hoch gebun­dene Mit­ar­bei­ter aus­weist, dafür aber 70 %, die inner­lich schon längst gekün­digt haben und nur noch Dienst nach Vor­schrift machen?

Gleich­zei­tig stellt sich die Frage, wie Deutsch­land mit einer schein­bar der­ar­tig schlecht moti­vier­ten Work­force aktu­ell wie­der so her­vor­ra­gende Wirt­schafts­er­geb­nisse erzie­len kann ?

 

Heisst das, dass man sich Employee Enga­ge­ment Dia­gno­sen und Maß­nah­men schen­ken kann ?

 

Aus eige­ner Erfah­rung mit orga­ni­sa­ti­ons­wei­ten Mit­ar­bei­ter­be­fra­gun­gen zeigt das für mich erst ein­mal nur, dass es — trotz beein­dru­cken­der Charts der Befra­gungs­pro­fis — nicht ganz so tri­vial ist, einen linea­ren Zusam­men­hang zwi­schen (hoher) Mit­ar­bei­ter­bin­dung und (guten) wirt­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen her zu stel­len. Auch wenn es die­sen Zusam­men­hang gibt.


Unter dem Druck des zuneh­men­den Fach­kräf­te­man­gels in vie­len Unter­neh­men ist das Thema Enga­ge­ment und Mit­ar­bei­ter­bin­dung trotz­dem aktu­el­ler denn je.

 

Kleine Auf­fri­schung: Wie funk­tio­niert (Mit­ar­bei­ter-) Moti­va­tion über­haupt ?

 

Die­ses Thema umtreibt die For­scher schon seit Jahr­zehn­ten. Die Maslow’sche Bedürf­nis­py­ra­mide oder die Zwei-Fak­to­ren-Theo­rie von Herz­berg sind zwei — auch umstrit­tene — Klas­si­ker, die im Arbeits­kon­text zum Teil immer noch zu Rate gezo­gen wer­den.

 
In Deutsch­land hat Rein­hard Spren­ger in den 90 Jah­ren mit sei­nem Buch „Mythos Moti­va­tion“ für Furore gesorgt, indem er die These auf­stellte, dass Beloh­nung, Dro­hung oder Strafe auf Dauer keine zusätz­li­che Moti­va­tion brin­gen. Son­dern im Gegen­teil, stän­dig gestei­gert wer­den müs­sen und am Ende sogar kon­tra­pro­duk­tiv wir­ken kön­nen. “Demo­ti­va­tion ver­mei­den“ — sollte der Job der Füh­rungs­kräfte sein, um die über Auf­gabe und Ver­ant­wor­tungs­über­tra­gung gestützte intrin­si­sche Moti­va­tion der Mit­ar­bei­ter zu erhal­ten.
 

Unter­stützt wer­den diese The­men durch die wis­sen­schaft­lich gut fun­dierte Selbst­be­stim­mungs­theo­rie der Moti­va­tion von Richard Ryan/Edward Deci. Danach wir­ken sich die drei psy­cho­lo­gi­schen Grund­be­dürf­nisse  (Auto­no­mie = Hand­lungs­spiel­räume, Kom­pe­tenz­er­le­ben = Selbst­wirk­sam­keit und Soziale Ein­ge­bun­den­heit = Aner­ken­nung und Ein­ge­bun­de­nen in ein Team) beson­ders posi­tiv und dau­er­haft auf Moti­va­tion und effek­ti­ves Ver­hal­ten aus, ins­be­son­dere wenn — wie in einer Wis­sens­ge­sell­schaft — zuneh­mend Krea­ti­vi­tät, Pro­blem­lö­sungs­fä­hig­keit und Durch­hal­te­ver­mö­gen gefragt sind. Mate­ri­elle Anreize, Dro­hung und Strafe hin­ge­gen nut­zen sich schnell ab. Diese Erkennt­nisse wer­den auch durch die Hirn­for­schung bestä­tigt. Das Beloh­nungs­sys­tems des Gehirns schal­tet sich ab, wenn ein ange­streb­ter Zustand (z.B. Prä­mie) erreicht ist. Ener­gie­spa­ren steckt dahin­ter. Anders sieht es aus, wenn Arbeit aus einem per­sön­li­chen Bedürf­nis her­aus (z.B. Werte, Sinn) erfüllt wird. Dann kann die Erle­di­gung ein dau­er­haf­ter Quell von Zufrie­den­heit sein.

Es stellt sich die Frage, inwie­weit diese For­schun­gen in den Befra­gun­gen und ins­be­son­dere auch im Fol­low up Pro­zess berück­sich­tigt wer­den.


In die aktu­ell sehr popu­lä­ren New Work-Bewe­gung hat viele die­ser Erkennt­nisse auf­ge­grif­fen.

 

Sie for­dert, die tra­di­tio­nell hier­ar­chisch auf­ge­stell­ten, auf Kon­trolle aus­ge­rich­te­ten Unter­neh­mens­or­ga­ni­sa­tio­nen von Grund auf zu erneu­ern.  Ein­mal um der stei­gen­den Kom­ple­xi­tät und Geschwin­dig­keit des Umfel­des begeg­nen zu kön­nen und das Unter­neh­men voll auf die Kun­den aus zu rich­ten. Und ande­rer­seits „Happy working peo­ple“ an zu locken und mit ihrer gan­zen Kraft wir­ken zu las­sen. Es geht um „Wert­schöp­fungs­hy­giene“ statt „Sozi­al­hy­giene“. Es braucht keine Kicker-Tische oder schrille Mit­ar­bei­ter­par­ties, son­dern die Gestal­tung eines Umfel­des, in dem der Mit­ar­bei­ter mit sei­nem Poten­tial wirk­sam wer­den kann.

 
Damit wer­den auch zuneh­mend die über viele Jahre ein­ge­setz­ten klas­si­schen Füh­rungs­in­stru­mente (z.B. Ziel­ver­ein­ba­run­gen, Bonus-Sys­teme, Leis­tungs­be­ur­tei­lungs­sys­teme  ) in Frage gestellt. Und dazu gehö­ren auch lang­wie­rige, wenig fle­xi­ble Employee Enga­ge­ment Sur­veys über die ganze Orga­ni­sa­tion, die immer noch sehr stark die jewei­lige Füh­rungs­kraft als den Ursprung allen Übels sehen. (Gal­lup: “Die Füh­rungs­kraft hat 80 % Anteil an der Mit­ar­bei­ter­mo­ti­va­tion”).
 

Ich muss geste­hen, dass mir diese These (trotz „Bewei­sen“, die man ja für vie­les fin­den kann) schon län­ger ein wenig zu ein­fach erschien.

 


Wie kann es sein, dass (lt. Gal­lup) nur 21 % der Mit­ar­bei­ter in Deutsch­land ihre Füh­rungs­kraft als moti­vie­rend erle­ben ?

 

Ist Füh­rungs­ta­lent in Deutsch­land wirk­lich so unter­re­prä­sen­tiert ? Ist die Aus­wahl man­gel­haft ? Die Füh­rungs­kräfte-Trai­nings so schlecht ? Oder gibt es womög­lich kom­ple­xere Zusam­men­hänge, die Füh­rung und Moti­va­tion ins­ge­samt erschwe­ren ? Und die Füh­rungs­kräfte eig­nen sich ein­fach als will­kom­mene Pro­jek­ti­ons­flä­che, weil die übri­gen Ein­fluß­fak­to­ren schlech­ter zu grei­fen bzw. zu per­so­na­li­sie­ren sind ?

 

Sofern man aber — auch ange­sichts von Digi­ta­li­sie­rung und Glo­ba­li­sie­rung — die gesamte Orga­ni­sa­tion als Hand­lungs­feld sieht, kann eine Enga­ge­ment-Dia­gnose der gesam­ten Work­force ein guter Anfang (und spä­ter auch Erfolgs­mes­ser) für Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung sein. Vor­aus­ge­setzt, man ist bereit, wirk­lich daran zu arbei­ten und ent­wi­ckelt schon vorab Gedan­ken über den Fol­ge­pro­zess.

 


Von ein paar Befra­gungs­my­then sollte man sich dabei befreien:

 

1. Es ist unmög­lich, mehr als 50 % der Mit­ar­bei­ter zu den Wahl­ur­nen zu bewe­gen.

Es ist sogar mög­lich, auf Betei­li­gungs­ra­ten zwi­schen 90 und 100 % zu kom­men! Wenn… ja wenn, man genü­gend Zeit in Par­ti­zi­pa­tion, Kom­mu­ni­ka­tion und ver­trau­ens­bil­dende Maß­nah­men vorab inves­tiert — und zwar indi­vi­dua­li­siert nach unter­schied­li­chen Ziel­grup­pen (Mit­ar­bei­ter, Füh­rungs­kräfte, Betriebs­rat, Geschäfts­füh­rung …). Wie ver­läuft der Pro­zess ? Wie sind Daten­si­cher­heit und Anony­mi­tät gewähr­leis­tet ? Was ist der Nut­zen ? etc. Ein ordent­li­cher Ablauf, der hält, was er ver­spricht, führt dann im Fol­ge­jahr sogar zu stei­gen­den Betei­li­gungs­quo­ten  — mit der ent­spre­chen­den Kom­mu­ni­ka­tion im Vor­feld — ver­steht sich.

2. Es gibt keine ehr­li­chen Befra­gungs­er­geb­nisse

Für Deutsch­land würde ich das — unter nor­ma­len Umstän­den — nicht bestä­ti­gen. In ande­ren kul­tu­rel­len Zusam­men­hän­gen (z.B. in Süd-Ost-Europa oder Asien) gibt es einen ande­ren kul­tu­rell gepräg­ten „Ehren-Kodex“ im Ver­hält­nis „Vor­ge­setz­ter — Mit­ar­bei­ter“. Hier kön­nen die Ergeb­nisse ten­den­zi­ell bes­ser aus­fal­len, aber trotz­dem kann man auch hier im Zeit­ver­lauf Unter­schiede fest­stel­len — eben nur auf einem ande­ren Niveau.

3. Die Ergeb­nisse des Employee Enga­ge­ment Sur­veys zei­gen uns end­lich schwarz auf weiss, wel­che „Total­aus­fälle“ bei uns in Füh­rungs­po­si­tio­nen sit­zen.

Mit die­ser Hal­tung („Für uns sind die Schul­di­gen eh klar“) würde ich eine Befra­gung auch nicht star­ten. Viel­mehr geht es darum, dass Enga­ge­ment-Ver­bes­se­run­gen nur gelin­gen, wenn man das ganze Sys­tem in den Blick nimmt. Dazu gehö­ren — neben den Füh­rungs­kräf­ten — die Zusam­men­ar­beit in den Teams, Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren, das Arbeits­um­feld, HR-Pro­zesse, stra­te­gi­sche Fra­ge­stel­lun­gen. Und natür­lich bie­tet eine Befra­gung — und ins­be­son­dere ein gut durch­dach­ter Fol­ge­pro­zess — viele hilf­rei­che Hin­weise auch für die Füh­rungs­kräfte in ihrer täg­li­chen Füh­rungs­ar­beit.

4. Durch den Employee Enga­ge­ment Sur­vey ändert sich sowieso nichts

Sofern man mit den Ergeb­nis­sen nicht wei­ter arbei­tet, wird die­ser Satz zu einer Self-Ful­fil­ling Pro­phecy. Und natür­lich kann man nicht alles sofort ändern — z.B. Struk­tu­ren, Pro­zesse, Sys­teme. Aber in den jewei­li­gen Teams, die über ihre Ergeb­nisse mit den Füh­rungs­kräf­ten spre­chen, kann man ziem­lich schnell und unbü­ro­kra­tisch zu Ver­än­de­run­gen kom­men. Für die dann idea­ler­weise alle ein Stück Ver­ant­wor­tung tra­gen.


5. Es braucht min­des­tens 50 Fra­gen und mehr, um her­aus zu fin­den, wo der „Hase im Pfef­fer liegt“

Aus mei­ner Sicht, liegt ein opti­ma­ler Fra­gen­ka­ta­log bei unter 20 Fra­gen (selbst für ein grö­ße­res Unter­neh­men. Und nicht nur, weil ich die Befra­gung über viele Jahre mit Gallup’s Q 12 durch­ge­führt habe. Son­dern weil ich wirk­lich der Mei­nung bin, dass man sowieso nie alle Pro­bleme in Fra­ge­form abbil­den wird, die es poten­ti­ell gibt. Und es viel­mehr dar­auf ankommt, dass man es schafft, Teams und Füh­rungs­kräfte mit­ein­an­der ins Gespräch zu brin­gen und ihnen Zeit dafür gibt. Das trägt schon ein­mal dazu bei, dass die oft­mals unter­schied­li­chen „Bil­der bzw. Wahr­neh­mun­gen“ (z.B. über “Was ist Aner­ken­nung ? Was heisst für mich Ent­wick­lung ? Was heisst für mich Betei­li­gung ? Wel­che Res­sour­cen sind mir wich­tig ?“) abge­gli­chen und Miss­ver­ständ­nisse aus­ge­räumt wer­den.

6. Der Employee Enga­ge­ment Sur­vey ist eine Sache von HR

Was die Orga­ni­sa­tion anbe­langt, wird das häu­fig so sein — ergänzt um Kol­le­gen aus IT und Kom­mu­ni­ka­tion. Aller­dings braucht es für eine erfolg­rei­che Durch­füh­rung das abso­lute Backup durch Geschäfts­füh­rung und obere Füh­rungs­ebene. Sie sind sowohl in der Kom­mu­ni­ka­tion vorab, als auch im Fol­ge­pro­zess — als Role-Models in ihren eige­nen Teams oder im Fol­low up für stra­te­gi­sche Pro­blem­stel­lun­gen — gefragt. Das stärkt dann nicht nur die Befra­gung, son­dern auch eine glaub­wür­dige Ver­an­ke­rung von Employee Enga­ge­ment z.B. in der Unter­neh­mens­stra­te­gie.

 


Neue Mög­lich­kei­ten für Employee Enga­ge­ment Sur­veys


Die zuneh­mende Digi­ta­li­sie­rung von HR Pro­zes­sen sowie die rapide wach­sen­den Anfor­de­run­gen in puncto Schnel­lig­keit, Fle­xi­bi­li­tät, Krea­ti­vi­tät, Pro­blem­lö­sun­gen an die Unter­neh­men und Teams ver­än­dert auch die Employee Enga­ge­ment Land­schaft.

 

Junge Start ups wie z.B. www.cultureamp.com (aus Aus­tra­lien) oder www.teambay.com (aus Ber­lin) bie­ten Schnel­lig­keit, Ein­fach­heit und hohe Indi­vi­dua­li­sie­rung über alle Sta-dien des Befra­gungs­pro­zes­ses. Und jede Menge Fle­xi­bi­li­tät bei der Erstel­lung von Fra-gebö­gen. Aber auch die “eta­blier­ten” ent­wi­ckeln sich wei­ter. So bie­tet IBM KEN­EXA mit der “employee expe­ri­ence” einen neuen Befra­gungs­schwer­punkt an, der die Dimen­sio­nen “Belon­ging, Pur­pose, Achie­ve­ment, Hap­pi­ness und Vigor” berück­sich­tigt.

Neben den gro­ßen Jah­res­be­fra­gun­gen gibt es ver­stärkt Mög­lich­kei­ten, unter­jäh­rig in den Teams (zusätz­lich) den „Puls“ zu füh­len. Oder den Mit­ar­bei­ter über die Employer Expe­ri­ence vom Onboar­ding bis Exit zu beglei­ten. Alles Online — ver­steht sich — und teil­weise sogar schon mit „Instant Report­ing“ noch wäh­rend der Befra­gung. Das führt natür­lich auch zu rapide stei­gen­den Daten­men­gen und bringt immer mehr Peo­ple Ana­ly­tics ins Spiel. Und damit die Mög­lich­keit zur Ver­knüp­fung mit Infor­ma­tio­nen aus Recrui­ting, Talent­ma­nage­ment, Lear­ning & Growth etc.


Viele Neue Mög­lich­kei­ten, um gezielt und zeit­nah am Employee Enga­ge­ment zu arbei­ten und es tat­säch­lich zu ver­bes­sern ?!

 

Wel­che Erfah­run­gen habt ihr mit Employee Sur­veys gemacht ? Was haben sie ggf. ver­än­dert — in euren Teams ? In der Orga­ni­sa­tion ? Wie haben sie Füh­rungs­kräfte in ihrer Arbeit unter­stützt ?