Große Infra­struk­tur-Pro­jekte wie z.B. Stuttgart 21, die End­lager­suche oder die Ver­legung von Strom­trassen im Zuge der Energiewende brin­gen klas­sis­che demokratis­che Prozesse/Entscheidungen immer mehr an ihre Gren­zen. So taucht auch in der öffentlichen Debatte in Deutsch­land immer mehr ein Thema auf, das in anderen Län­dern (z.B. Öster­re­ich und Schweiz) bere­its deut­lich weiter gediehen scheint: Par­tizipa­tion oder Bürg­er­beteili­gung. Manche Parteien verkürzen die Diskus­sion auf die Formel „Volk­sentscheid“ und sug­gerieren dabei, kom­plexe Fragestel­lun­gen auf eine „Ja — Nein“- Frage reduzieren zu kön­nen. Par­tizipa­tion ernst gemeint, bedeutet aber viel mehr. Es ist ein län­gerer Prozess, in dem vielfältige Beteiligte mit ebenso vielfälti­gen Posi­tio­nen um ein gemein­sames und tragfähiges Ergeb­nis „rin­gen“.

 

Um diesem span­nen­den Thema mehr auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit Clau­dia Schelp unter­hal­ten, die als Mod­er­a­torin und Medi­a­torin schon eine Vielzahl solcher Prozesse vornehm­lich auf kom­mu­naler Ebene (z.B. im Pla­nungs- und Baubere­ich) begleitet hat.

 

 

Was hat dich dazu gebracht, dich in diesem Thema beru­flich zu engagieren ?

 

CS: Nach meinem Architek­tur-Studium habe ich in dem Architek­tur-Büro, in dem ich ges­tartet bin, vor­wiegend Pro­jekt- und Bauleitung gemacht. Auf diese Weise war ich schnell mit Kon­flik­ten zwis­chen diversen Beteiligten (Bauherrn, Inve­storen, Fach­plan­ern, Handw­erks­fir­men, Zulief­er­ern und Nutzern) kon­fron­tiert und stand vor der Her­aus­forderung, ver­schiedene Inter­essen zusam­men führen zu müssen. Eine zusät­zliche Aus­bil­dung zur Medi­a­torin an der bayrischen Architek­tenkam­mer hat mir geholfen, mit den häu­fig auf­tauchen­den Kon­flik­ten kon­struk­tiv umzuge­hen und in einem struk­turi­erten Prozess zu einer tragfähi­gen Lösung zu kom­men. Das hat mich immer mehr fasziniert. Und obwohl ich nicht unbe­d­ingt große Prozesse mod­erieren wollte, lan­dete ich  2009 im bere­its ges­tarteten Par­tizipa­tion­sprozess um die Sanierung des Landwehrkanals in Berlin,. Gemein­sam mit zwei weit­eren Mod­er­a­toren haben wir das Ver­fahren mit 40 Beteiligten zu einem erfol­gre­ichen Abschluss 2013 ges­teuert. Aktuell bin ich engagiert im Pro­jekt um die Cam­pusen­twick­lung in Berlin Neukölln / Efeuweg sowie einem Verkehrs­pla­nung­spro­jekt in Her­ford.

 

 

Was fasziniert dich so an dieser nicht ganz unanstren­gen­den Auf­gabe ? Was gibt dir Energie ?

 

CS: Men­schen haben heute viel mehr Infor­ma­tio­nen. Sie wollen sich nicht ein­fach mit Entschei­dun­gen abfinden, die in irgendwelchen Elfen­bein­tür­men getrof­fen wer­den, deren Hin­ter­gründe sie nicht ver­ste­hen.: Sie wollen beteiligt wer­den. Beteili­gung macht aus „Wut­bürg­ern“ „Mut­bürger“, die ihre neg­a­tive Energie in etwas pos­i­tives Neues umwan­deln. Hört man ihnen wirk­lich zu, nimmt sie ernst, fan­gen Men­schen an, sich zu öff­nen. Sie informieren sich weiter, wollen besser ver­ste­hen und entwick­eln — im besten Fall — sogar Freude daran, einen noch ungeah­n­ten Weg im Sinne aller zu ent­decken. Das ist großar­tig ! Es ist eben keine Zus­pitzung — wie in einem Volk­sentscheid — auf zwei Alter­na­tiven, son­dern es wird ein viel bre­it­eres Lösungsspek­trum sicht­bar, das ganz neue Ansätze möglich macht.

 

 

Mir scheint aber auch, nicht jeder ver­steht das gle­iche unter Bürg­er­beteili­gung / Par­tizipa­tion. Kannst du da ein wenig Licht ins Dunkel brin­gen ?

 

CS: Ja, gerne. Man kann fünf Level der Beteili­gung unter­schei­den: Als unter­stes Level gilt die Infor­ma­tion, die ver­sucht, Men­schen über Hin­ter­gründe, Alter­na­tiven, Prob­leme und Lösun­gen möglichst objek­tiv auf zu klären. Im näch­sten Schritt, der Kon­sul­ta­tion, wer­den Rück­mel­dun­gen der Betrof­fe­nen einge­holt. Bei der Ein­beziehung steigt der Mitar­beitspart der Beteiligten deut­lich, bei der Koop­er­a­tion wer­den sie in die Lösungssuche einge­bun­den. Die Ermäch­ti­gung stellt das ober­ste Level der Beteili­gung dar. Hier liegt sogar die endgültige Entschei­dung in den Hän­den der Öffentlichkeit. Meine Pro­jekte bewe­gen sich meist zwis­chen Ein­beziehung und Koop­er­a­tion. Die Ermäch­ti­gung kommt im öffentlichen Bere­ich ins­ge­samt kaum vor .

 

 

Je mehr Mit­sprache, um so umfan­gre­icher und her­aus­fordern­der ist sicher­lich auch der Prozess. Was sind für dich wesentliche Ele­mente, damit Par­tizipa­tion gelingt ?

Ver­trauen untere­inan­der

CS: Das aller­wichtig­ste bei Par­tizipa­tion­sprozessen mit vie­len Beteiligten ist es, Ver­trauen untere­inan­der auf zu bauen. Und das beginnt gle­ich am Anfang und muss mit jedem Schritt erar­beitet wer­den. Grund­lage ist meist eine Vere­in­barung über Kom­mu­nika­tion und Zusam­me­nar­beit („Arbeits­bünd­nis“). Auf­gabe des Mod­er­a­tors ist es, ger­ade am Anfang ziem­lich genau auf die Ein­hal­tung zu achten. Aber nicht im Sinne einer „stren­gen Auf­sicht“, son­dern eher eines „hil­fre­ichen Beobachters“, der auf die selb­st­gegebe­nen „Spiel­regeln“ hin­weist, der Gruppe aber die let­z­tendliche Entschei­dung wieder über­lässt. Ver­trauen ist ein empfind­liches „Pflänzchen“ , das gut „gepflegt” wer­den muss, damit es nicht durch Unacht­samkeit schnell wieder zer­stört wird.

Frühzeit­ige Ein­bindung der Beteiligten

Ein andere wesentliche Voraus­set­zung für das Gelin­gen ist die frühzeit­ige Ein­bindung der Beteiligten. Und zwar wirk­lich so früh wie möglich! Selbst wenn noch nicht genau klar ist, was passieren soll. Die Gefahr, die dann viele sehen, dass zu viel Unruhe entsteht und ggf. Prozesse gar nicht in Gang kom­men, weil die öffentliche Mei­n­ung plöt­zlich „über­schwappt“, halte ich für wenig begrün­det. Es ist immer eine Frage der Kom­mu­nika­tion wie man die The­men und ihre aktuellen Stand in die öffentliche Debatte bringt und gle­ichzeitig eine Beteili­gung startet.

Der ehrliche Wille

Und damit komme ich zu meinem drit­ten Erfol­gs­fak­tor: Par­tizipa­tion oder Bürg­er­beteili­gung muss ehrlich gewollt sein! Alibi-Aktiv­itäten wer­den schnell durch­schaut und brin­gen die Men­schen nur noch mehr gegen das Pro­jekt auf. Sich darauf ein­lassen heißt aber auch, genü­gend Zeit (Zeit­druck führt häu­fig zu Eskala­tion), Ressourcen und v.a. eine pro­fes­sionelle Mod­er­a­tion zu organ­isieren. Häu­fig sollen promi­nente, nicht dafür aus­ge­bildete Köpfe, wie z.B. Heiner Geißler bei Stuttgart 21 ziem­lich ver­fahrene Sit­u­a­tio­nen noch ret­ten. Dabei tut man diesen Per­so­nen und dem Prozess meist keinen Gefallen.

Motive ver­ste­hen

Inner­halb es Prozesses ist ein ganz zen­traler Fak­tor, die Motive der einzel­nen Grup­pen wirk­lich zu ver­ste­hen. Als Mod­er­a­tor sollte man eine Neugierde für die unter­schiedlichen Hal­tun­gen und Men­schen entwick­eln. Eine gute Her­ausar­beitung der diversen Inter­essen­la­gen ist das A und O!

 

Damit man mal einen Ein­druck bekommt, wie so ein Par­tizipa­tion­sprozess (Level Koop­er­a­tion) abläuft, skizziere doch kurz, wie du bei einem solchen Prozess vorgehst.

Die richti­gen Leute gewin­nen

CS: Im Grunde ver­läuft der Prozess ähn­lich der Struk­tur einer Medi­a­tion. Für ein Beteili­gungsver­fahren sind wir meist im Team unter­wegs, um mit den großen Grup­pen gut arbeiten zu kön­nen. Es hilft aber auch für die Reflex­ion, gegen­seit­ige Unter­stützung und Moti­va­tion. Zum Start machen wir uns Gedanken, welche Inter­es­sen­grup­pen wichtig sind für die Diskus­sion und ver­suchen diese an den Tisch zu bekom­men. Dabei stellt sich die span­nende Frage: Wie erre­iche ich die Leute, deren Sit­u­a­tion ich bear­beiten möchte ? Das ist nicht immer ganz ein­fach, z.B. auf­grund von Sprach­prob­le­men, fehlen­den zeitlichen oder finanziellen Ressourcen, wenig gesellschaftliche Teil­habe, Unsicher­heit, Frus­tra­tion. Aber das wäre jetzt noch ein­mal ein ganz eigenes Thema

Der Prozess

… Hat man das organ­isiert, dann gibt es Vorge­spräche mit jeder Inter­es­sen­gruppe, um die Motivsi­t­u­a­tion besser zu ver­ste­hen. Danach begin­nen die gemein­samen Sitzun­gen zunächst mit der Klärung der Rah­menbe­din­gun­gen (z.B. Spiel­regeln, Ter­mine, Zeitrah­men, Ressourcen etc.). In der zweiten Phase ver­sucht man Einigkeit darüber zu erzie­len, welche The­men über­haupt bear­beitet wer­den sollen. In der drit­ten Phase, der eigentlichen Arbeit­sphase, trägt man das zusam­men, was den jew­eili­gen Grup­pen pro Thema wichtig ist. Die gesamte Gemen­ge­lage wird sicht­bar und auf dieser Basis kön­nen nun Lösun­gen erar­beitet wer­den. Wenn das geglückt ist, sollte auch der Erfolg gewürdigt wer­den z.B. mit einer angemesse­nen Feier. Das ist jetzt sehr mod­ell­haft beschrieben. Natür­lich tauchen auf dem Weg diverse Hin­dernisse und Kon­flikte auf, die es wiederum zu lösen gilt.

 

Was sind für dich die größten Hin­dernisse in so einem Prozess ? Und die größten Chan­cen?

 

CS: Das ist wie in den aktuellen Koali­tionsver­hand­lun­gen. Wenn alle nach den indi­vidu­ellen Vor­son­dierun­gen mal an einem Tisch sitzen, beginnt häu­fig das poli­tis­che Tak­tieren. Wenn mit verdeck­ten Karten gespielt wird, erschw­ert das den Prozess enorm. Ideal wäre es, wenn sich alle dem Prozess öff­nen wür­den. Das fällt aber ger­ade vie­len Poli­tik­ern (und sie sind auch auf kom­mu­naler Ebene präsent) nicht immer leicht — sie sind eben anders „sozial­isiert“. Hin­terz­im­mer-Diplo­matie gehört zu ihrem Geschäft.

Der Erfolg von Par­tizipa­tion beruht aber eben auf ganz anderen Mech­a­nis­men. Und dies ist auch meine per­sön­liche Leben­süberzeu­gung: Ver­trauen, Offen­heit, einan­der Zuhören, ein bißchen Geduld … bringt am Ende immer Lösun­gen. Mir ist aber auch bewußt, dass Poli­tik — mehr oder weniger — auch in Beteili­gung­spro­jek­ten ein Thema ist, mit dem man kon­struk­tiv umge­hen muss. Weil es immer Lösun­gen gibt, wenn auch manch­mal nur in kleinen Schrit­ten, die mich immer wieder neu motivieren. Ich bin Überzeu­gungstä­terin und möchte damit die Gesellschaft ein bißchen besser machen, das Miteinan­der und den Blick für den anderen wieder stärken.

 

Anschließend an deine Überzeu­gung, die Gesellschaft über Par­tizipa­tion besser zu machen: Wie kön­nte man mehr Öffentlichkeit für diese Meth­ode oder vielle­icht sogar Philoso­phie erre­ichen ?

 

CS: Das ist gar nicht so leicht. Denn die Prozesse sind meist kom­plex, dauern teil­weise länger und brin­gen erst ein­mal keine schnellen Erfol­gsmeldun­gen. Die Beteili­gung für den Landwehrkanal hat ins­ge­samt fast 6 Jahre gedauert. Dafür gelingt ihnen etwas, was meist nach­haltiger ist als „schein­bar schnelle“ Lösun­gen. Kommt es erst zu Kla­gen, dauern die Prozesse meist viel länger oder wer­den gar nicht umge­setzt. Mein Ein­druck ist aber auch, dass auf ein­schlägi­gen Blog-Seiten (hier in Han­nover z.B. www.platzprojekt.de oder http://bbs-hannover.de/) oder auch in den lokalen Tageszeitun­gen bere­its mehr darüber berichtet wird. Zumin­d­est was die kom­mu­nale  Ebene anbe­langt. Aber es kön­nte sicher­lich noch besser gehen …

 

Hilft dabei vielle­icht, dass Par­tizipa­tion­sprozesse mit­tler­weile nicht mehr nur im öffentlichen Raum, son­dern zunehmend auch in Unternehmen Einzug hal­ten ?

 

CS: Auf jeden Fall. Mit­tler­weile begleite ich z.B. auch Verän­derung­sprozesse in Unternehmen. Dabei helfen Ver­fahren wie Open Space oder Zukun­ftswerk­stät­ten par­al­lel viele Mitar­beiter auf Augen­höhe mit zu nehmen und sie unter Inte­gra­tion ihrer eige­nen The­men für etwas gemein­sames Neues zu engagieren. Solche Erfahrun­gen aus dem Unternehmen­skon­text kön­nen sicher­lich auch Vor­bild oder Moti­va­tion für die Beteili­gung an gesellschaftlichen Prozessen sein. Genauso wie umgekehrt.

 

Noch ein­mal zurück zu dir als Mod­er­a­torin: Was braucht man an Tal­en­ten, Eigen­schaften, Erfahrun­gen, um in diesem Arbeits­feld erfol­gre­ich unter­wegs zu sein und worin besteht deine „per­sön­liche Note“ ?

 

CS: Als erstes würde ich das “tiefe Ver­trauen, dass es funk­tion­iert” erwäh­nen. Immer­hin ist es ein Weg, bei dem das Ergeb­nis erst nach und nach zu Tage tritt. Des Weit­eren ist es die Neugier, auf das, was Men­schen bewegt, ver­bun­den mit der Empathie, sich ein zu denken und zu ‑fühlen. Als Ver­ant­wortliche für den Prozess ist mir wichtig “Struk­tur auszus­trahlen“ und natür­lich dafür sor­gen zu kön­nen. Aber nicht immer läuft alles nach Plan: insofern hilft es auch “sit­u­a­tion­se­lastisch und struk­tur­flex­i­bel“ zu bleiben. Anliegen und Inter­essen sprach­lich auf den Punkt brin­gen zu kön­nen, ist genauso wichtig wie die Hal­tung der All­parteilichkeit. D.h. der Mod­er­a­tor muss abso­lut präsent aber bei weitem keine „Ram­p­en­sau“ sein ! Ich sehe mich vielmehr wie den „Ausleuchter im The­ater“, der jeden Akteur indi­vidu­ell und im richti­gen Moment auf der Bühne, mit seinen Aus­sagen (bzw. Anliegen), für alle sicht­bar macht.

 

Du bist jetzt bald 9 Jahre in Sachen Bürg­er­beteili­gung / Par­tizipa­tion unter­wegs: Wie hat dich diese Arbeit verän­dert?

 

Ins­beson­dere die Medi­a­tion — als Teil von Par­tizipa­tion — hat mich verän­dert. Ich habe eine inter­essierte Neugier entwick­elt, erst ein­mal zu ver­ste­hen, was hin­ter Aus­sagen, Ver­hal­ten, Kon­flik­ten, Men­schen steckt. Und ich höre ins­ge­samt anders, inten­siver, voll­ständi­ger zu. Auch außer­halb des Arbeit­skon­text. Mein Inter­esse für gesellschaftliche Prozesse hat dadurch sicher­lich auch zu genom­men.

 

 

Wer neugierig gewor­den ist auf Par­tizipa­tion, kann sich unter fol­gen­den Links + Büch­ern weiter schlau machen:

http://www.partizipation.at/home.html

www.bipar.de

Kurs­buch Bürg­er­beteili­gung #1 + #2 (Hg: Jörg Som­mer)